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Henri Deparade – Malerei
Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie LS, Nürnberg am 29. September 2015 von Barbara Leicht M.A., Kunstmuseum Erlangen

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir stehen inmitten einer Ausstellung erstaunlicher Werke, voller Kraft und Dynamik, voller Lebendigkeit, voller Körperlichkeit, die uns anspricht und berührt. Prof. Henri Deparade, der Maler dieser intensiven Figurationen, ist gebürtiger Hallenser mit heutigem Lebensmittelpunkt in Dresden. Er studierte Malerei und Grafik an der Hochschule „Burg Giebichenstein“ in Halle und war danach Meisterschüler von Willi Sitte. Auf die Ambivalenz dieses LehrerSchülerverhältnisses näher einzugehen, ist in diesem Kontext irrelevant. Denn es wird sofort sichtbar: Deparades Werke zeugen natürlich von einer eigenen, authentischen Handschrift und einer individuellen künstlerischen Haltung zum Thema Mensch, dessen Kommunikation und dessen Beziehungen.

Deparade lässt seine realistischen und naturalistischen Körper im imaginären Bildraum agieren und lässt sie eins werden mit ihm. Der Betrachter wird durch das große Format in den Bann gezogen und kann bald von den Farbräumen umhüllt fühlen. Der Maler lässt ihn nicht nur teilhaben an seiner Kunst, letztendlich lässt er ihn Teil davon werden. Der Betrachter der Gemälde spielt mit auf der Bühne, auf der der Maler antike Mythen nachempfindet und in einem allgemeingültigen Kontext versetzt.

Deparade scheint schnell zu malen und zu zeichnen – Zeichnen wegen der Umrisslinien seiner Figurationen – so schnell wie auch Worte und Gesten während unseres Miteinanders geschehen, im Hundertstel Sekundenbereich. So schnell, dass sich die Körper aus ihren linearen Umfassungen heraus zu bewegen scheinen und sich Bewegungsmuster u.a. in Form von verdoppelten, verdreifachten Antlitzen abzeichnen. Sicher, gewandt und wesenhaft hält er die Geschichten der zentralen Gestalten im Fließen der Übergänge fest. Die Linien der Körper besitzen in den Farbräumen bald ein skripturales Element, festigen ihre Aussage ohne ein Wort, bestimmen ihre Position, ohne den Bildraum in seiner Unbestimmtheit fixieren zu wollen. Es erscheint ein leichter, ein lockerer, ein mehrfarbiger Duktus, der die Linien beschreibt

Die Figuren agieren in einem ätherischen Blau, einem Petrol oder aber auch sehr sinnlich pulsierendem Rot. Sie sind von einem irrealen Raum umgeben. Die Illusion ist die Magie in den Szenen. Der Maler arbeitet überzeitlich, er nutzt nicht die Transporter der Moderne, wie schicke Interieurs oder die materielle Objektwelt. Einer eindeutigen Zeitzuschreibung enthoben, besitzen die Szenen Universalität. Heroinnen und Helden zeigen sich zwar durch die Titel von mythischer Szenerie unterbaut, aber kein Attribut, kein Schriftzug weist auf einen
Namen hin und auf die üblichen von der Antike bis heute tradierten ikonografischen Mittel, auf die Deparade komplett verzichtet. Es ist ihm weniger wichtig die Mythen detailgetreu zu erzählen. Der Mythos ist sein Mittler, um das Treiben des Menschen zu charakterisieren und zwischenmenschliche Beziehungen, besonders jene zwischen Mann und Frau und Frau und Mann malerisch im imaginären Bildraum zu erfassen.
Meist zeigen sich die Figurationen nackt und bloß, selten sieht man ein Velum um Lenden geschlungen. Es geht hier um Grundlegendes, es geht um die menschliche Existenz in all ihren tragischen Abgründen und in all ihren dramatischen Beziehungsgeflechten, es geht um archaische Begriffe wie Liebe, Stolz, Eitelkeit, es geht um Sehnsucht, Hass, es geht um Krieg und Frieden im kleinsten Bereich.

Der klassische Akt, akademisch tradiert, seit langen Jahrhunderten immer wieder Grundlage des Gestaltens, steht im Mittelpunkt der Szenerien von Henri Deparade. Zusammen mit seinem gestalterischen Vermögen kann er mit der Körperlichkeit seiner Figuren vieles über die Sache „Mensch“ ausdrücken.

Die Protagonistinnen und Protagonisten scheinen wie auf einer antiken Bühne zu agieren, zeigen die Dramaturgie des Zwischenmenschlichen und die Fähigkeit unserer Spezies zu einer intensiven Kommunikation mit Mimik, Gesten und Worten, so wie es wohl kein anderes Lebewesen auf der Welt zu tun vermag.

Die Illusion der Bildtiefe ist es, die den Maler besonders fasziniert. Er fasst im „μBereich“ des klassischen Ölfarbenauftrags auf der Leinwand den Tiefenraum zusammen. Dies gelingt ihm virtuos mit den Überschneidungen von linearer Figuration und Körperlichkeit, der er ein Inkarnat verleiht, begleitet von gegenstandsfreien Bildhintergründen, in denen er gänzlich auf Perspektiven und Lichtquellen verzichtet. Eine intensive Bildsprache auf hohem Niveau.

Hugo von Hofmannsthal, der österreichische Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker schrieb in der Handlung seiner Oper „Die ägyptische Helena“, uraufgeführt 1928 in Dresden: (Zitat) „Es sind die Kunstmittel des lyrischen Dramas, und sie scheinen mir die einzigen, durch welche die Atmosphäre der Gegenwart ausgedrückt werden kann. Denn, wenn sie etwas ist, diese Gegenwart, so ist sie mythisch – ich weiß keinen anderen Ausdruck für eine Existenz, die sich vor so ungeheuren Horizonten vollzieht – für dieses Umgeben sein mit Jahrtausenden, für dies Hereinfluten von Orient und Okzident in unser Ich, für diese ungeheure innere Weite, diese rasenden inneren Spannungen, dieses Hier und Anderswo, das die Signatur unseres Lebens ist. Es ist nicht möglich, dies in bürgerlichen Dialogen aufzufangen. Machen wir mythologische Opern…“ (Zitat
Ende) [Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke: Dramen V, Operndichtungen. Frankfurt am Main 1979, S. 512]

Henri Deparade malt mythologische Bilder. Dieses Zitat soll noch einmal die tiefgründende Überzeitlichkeit seiner Werke begreiflich machen.

Eröffnungsrede zur Ausstellung von Henri Deparade am 8.02. 2013 in München

Selten hat man es im Ausstellungsbetrieb zeitgenössischer Malerei mit einem solch durchgängig konsistenten, in sich verwobenen Auftritt eines Werkes zu tun wie bei dem des Dresdner Künstlers Henri Deparade. In ausnahmslos jeder der Arbeiten, die Sie hier präsentiert sehen, können Sie klar entscheiden zwischen den Darstellungsebenen Farbfläche, Figurenzeichnung und Bewegungszerlegung von Körpern und Gesichtern. Diese Malerei ist gleichzeitig episch, lyrisch und dramatisch, sie ist sowohl hoch dynamisch als auch verharrt sie in einer eingefrorenen Bewegung. Sie strahlt Aussagen aus, die sich in einem geschlossenen System abzuspielen scheinen und doch offene Aussagen meinen könnten in ihren Strukturen, die sich im gleichen und so paradoxen Maße vermitteln wie geheimnisvoll verschlüsseln. Diese Malerei teilt sich dem Betrachter erst einmal mit, und das ganz stark und eindeutig, denn sie handelt hauptsächlich von der Kommunikation der Menschen untereinander- ihren Zuneigungen und Konflikten -, und dennoch entzieht sie sich ihm letztlich. Sie ist plakativ einfach und tiefgründig komplex.

Die für Henri Deparade so charakteristische Bildstruktur der Durchsichtigkeit seiner Figuren in den Umrisszeichnungen, auf meist einfarbigem Hintergrund, kennen wir alle aus unserem historischen Bild-Gedächtnis: ich meine die Kreide-Entwürfe auf Toulouse-Lautrecs Kartons, wie die „Frau, die ihre Strümpfe hochzieht“, wie „Yvette Guilbert“ und „Chocolat, in der Bar tanzend“ - wo also Transparenz dadurch entsteht, dass Hintergrund und Körperfarbe durchgängig eine Einheit bilden. Demgegenüber führt Deparade mit seinem eindrucksvoll komplexen Liniengeflecht eine weitere Dimension ein, eine Darstellungsweise, die geradezu kinematografisch ist: die rhythmische Zerlegung des Bewegungsablaufes eines Körpers bzw. Gesichtes in gestaffelte Bilder würde – in Geschwindigkeiten ihrer Bildträger versetzt – dem Auge als kontinuierliche Bewegung erscheinen. Deparade nutzt zwar ein solches mediales Analyseverfahren, setzt es aber in seiner Kunst nicht in Illusion um. Die Choreographien seiner dialogisierenden Figuren sind mögliche Bewegungen. Es ist erst der Betrachter, der sie in Bewegung setzt. Er kann es aber auch lassen. So erreicht der Künstler einen Darstellungs- und Reflexionszustand, der über die Entwicklung der Filmgeschichte aus dem Tingeltangel der Jahrmärkte weit hinweg geht, ja eigentlich zurück geht ins strenge Experiment.

Wie lässt sich eine Identität zwischen Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit darstellen, mit der sich die Psychoanalyse seit Sigmund Freud befasst? Wie lässt sich das Postulat von Egon Schiele „Ich bin die Vielen“ bildnerisch aufgreifen und mit anderen Mitteln als denen der introvertierten Extroversion, wie bei Schiele? Der Wiener Maler Heinz Stangl, der früh Vollendete und zu früh Gestorbene, hat den Kunstgriff der Vervielfachung der Gliedmaßen seiner Figuren in die zeitgenössische Kunstgeschichte eingeführt, seine Bilderfindungen dadurch dynamisiert, erotisiert und verrätselt. Aber nachdem er noch in der legendären Ausstellung „Zurück zur Figur“ in der Hypo-Kunsthalle München im Sommer 2006 teilgenommen hatte, gab es nach seinem Tod keinen Maler, der diesen Weg, den er der Malerei der Gegenwart gewiesen hat, weitergeführt hätte.

Allerdings war 2007 ein Maler in einer Münchner Galerie aufgetreten, der noch programmatischer als Heinz Stangl das statische Tafelbild in sein dynamischen Bewegungspotentiale zu führen beabsichtigte: Henri Deparade. Wer war dieser Maler?

Zwar können Sie es nachlesen, lassen Sie mich aber dennoch kurz auf das Curriculum Vitae von Henri Deparade eingehen: In Halle an der Saale 1951 geboren, studierte er ab 1972 an einer der besten Hochschulen Deutschlands, der berühmten Burg Giebichenstein in Halle Malerei und Grafik, war nach seinem Abschluss mit Diplom Meisterschüler bei Willi Sitte, beantragte 1988 seine ständige Ausreise aus der DDR und nahm dann in der Nähe von Stuttgart vorübergehend seinen neuen Wohnsitz. Seit 1992 ist Deparade Professor für Zeichnen und Malen sowie für die Grundlage elementarer Gestaltung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden und lebt auch in Dresden. Er belegt also mit Halle und Dresden zwei der vier wichtigsten Städte der Kunstausbildung und Kunstausübung in Ostdeutschland. Die anderen beiden sind bekanntlich Leipzig mit der Neuen Leipziger Schule und Chemnitz mit der Künstlergruppe Clara Mosch und Malern wie Michael Morgner.

60 Einzelausstellungen in Europa und den USA, zahlreiche Gemeinschaftsausstellungen und Auftritte auf vielen Kunstmessen haben Henri Deparades unverwechselbare Handschrift der Kunstwelt eingeprägt. Unter diesen Ausstellungen war auch die in München, an die sich vielleicht einige Anwesende erinnern: 2007 in der Otto-Galerie unter dem Titel „Orestie“. Vor allem mein Münchener Kollege Andreas Kühne, Kunstkritiker und Wissenschaftshistoriker, wie Deparade aus Halle stammend, der den Text für die Einladungskarte der Otto-Galerie schrieb, rückte das Werk von Deparade dahin, wo es eigentlich hingehört, mit seinem Essay „Der Maler im Argonauten-Schiff. Überlegungen zu den mythologischen Bildern von Henri Deparade“. Kühne holt kräftig aus, um die Aktualität des Bildertypus im Werk von Deparade zu untermauern, weil dieser eben nicht nur das bloße Abbild herausstellt, sondern in „kontrollierter Expressivität der Linie“ (Kühne) eine neue Bildwirklichkeit schafft.

Da Kühnes Positionierung von Deparades Werk mir so wichtig erscheint, zitiere ich ihn ausführlich:
„Die gegenwärtige Hinwendung zum Bild, die in der Rede vom „iconic turn“ einen treffenden Begriff gefunden hat, resultiert nicht allein aus jüngsten Entwicklungen in der Philosophie oder der ästhetischen Theorie. Einen unvermittelt sichtbaren Grund besitzt sie in der Omnipräsenz elektronisch verbreiteter und in steigendem Maße auch generierter Bilder. „Bilder haben Konjunktur“ konstatierte Gottfried Boehm 1994, „seit den 80er Jahren sind sie zu einem kulturellen Paradigma aufgerückt.“ Die postmoderne Bilderflut, die weniger aus den Künstlerateliers als aus den hochgerüsteten Studios kommerzieller Bildproduzenten gespeist wird.... okkupiert und disponiert unsere Wahrnehmung in einem zuvor nicht gekannten Maße. „Bild“ heißt dabei häufig wenig mehr, als das in der Kunst schon überwunden geglaubte „Abbild“, ein Replikat der Wirklichkeit mit der Tendenz, diese zu ersetzen.“

Es ist das andere Bild also, das wir vorher noch nicht kannten, welches der Künstler eben nicht abbildet, sondern findet und erfindet, so wie der Dichter einen anderen, neuen Kontext der Sprache in seiner lyrischen Erfindung. Eingefügt in eine epische Bilderzählung, die Henri Deparade der griechischen Mythologie entnimmt, diesen sich gegenübertretenden, redenden, streitenden Heroen
als „Sinnsuchenden“ (wie Deparade sie bezeichnet); und in einer dramatischen Bildbewegungs-Anleitung, gewissermaßen einer stroboskopisch aufblitzenden Bewegungsverkürzung, konstruiert der Künstler in seinen Bildern Syntax und Semiotik einer neuen Bildsprache im elektronischen Zeitalter. Er beweist dabei ganz nebenbei, dass das alte Handwerk der Malerei sich auch ohne Cyberspace und 3 D in eine spannende Bildzukunft katapultieren lässt, ja darüber hinaus dem Tsunami beliebiger Bildinformationen ein Bollwerk intelligenter Wahrnehmungskunststücke als hoch ästhetischem Bildreinigungsmittel entgegensetzen kann.

Ich danke Ihnen!
Elmar Zorn

Es scheint so, wenn man sich ein wenig in Katalogen zum Werk von Henri Deparade verliert, dass seine Bilder zu heftiger, um nicht zu sagen: muskulöser Begriffsarbeit Anlass geben.Vielleicht ist es ja doch gut, erst einmal zusammenzutragen, was man sehen kann, was man nicht schon wissen muss. Was ja ganz unmittelbar auffällt, gleich beim ersten Blick auf diese Bilder, das ist dieses eigentümliche Gemisch aus Zeichnung und Malerei, so als ob Farbe und Linie nicht ganz übereinstimmten, nicht ganz so selbstverständlich miteinander harmonierten, wie wir das von figürlicher Malerei her gewohnt sind - und um figürliche Malerei handelt es sich ja ganz offensichtlich. Auch könnte man kaum einmal mit Bestimmtheit sagen, was an dieser oder jener Bildpartie zuerst da war, die Zeichnung oder die Malerei. An der einen Stelle sieht es aus, als sei die Farbe über die Zeichnung gelegt, an der anderen, als seien die Linien und Striche erst im zweiten Schritt dazu gekommen.

Zugleich scheint schwer bestimmbar, was weiter vorne, was weiter hinten ist. Die Bilder haben alle keine Oberfläche. Man blickt auf sie, wie man in einen gefüllten Raum blickt - dicht, gedrängt, schwer entwirrbar, undurchdringlich. Plötzlich entdeckt man ein Auge, Gesichtszüge, von denen man nicht sagen könnte, ob sie gerade erscheinen oder eher verschwinden. Es ist, als seien die Bildebenen wie transparente Folien übereinandergeschichtet, so dass es ganz aussichtslos scheint zu entscheiden, welcher Bildteil zu welcher Ebene gehört. Und vollends ausgeschlossen, den Spuren länger als ein Stück weit zu folgen. Man will sie halten und verliert sie gleich wieder. Man könnte auch an Schattenbilder denken oder an Projektionen einer unübersehbaren Anzahl von Bildquellen auf eine Leinwand hin. Auf hilfreiche Fluchtlinien, gar so etwas wie Zentralperspektive dürfen oder sollen wir offensichtlich nicht hoffen.

Simultan zeigen sich Figurenteile von vorn und von der Seite, treten zurück und spielen sich in den Vordergrund, verlieren sich mit einem Mal im Gewühl der Farbe und festigen sich im nächsten Augenblick schon wieder entlang ihrer Konturlinien. So bleibt alles in ziemlicher Bewegung, und wenn der Anschein nicht täuscht, auch in ziemlicher Erregung. Erregung, deren Herkunft uns noch nicht ganz klar ist. Jedenfalls sieht man diesen Bildern den Prozess ihrer Entstehung an, die Dynamik des Machens. Es müssen stürmische, aufgeladene Mal-Sessions gewesen sein, aus denen sie hervor gegangen sind. Und es ist sicherlich nicht verboten, wenn man das Gefühl hat, der Prozess sei noch nicht ganz abgeschlossen, womöglich gar nicht abschließbar.

Stille jedenfalls ist es nicht, was einem zu diesen Bildern einfällt. Wenn Bilder laut geben, Geräusche machen könnten, müsste es wie ein Geraschel vor ihnen sein, ein Getuschel, da und dort wäre ein Schrei zu hören, ein Zischen, ein Stöhnen. Es gibt nicht wenige offene Münder hier in der Runde an der Wand.

Man darf getrost auch einmal auf die Bildtitel schauen. Wenn Bilder „Orest“ heißen oder „Klytämnestras“, „Agamemnon und Kassandra“, Jason und Medea“, „Dionysos“ und Marsyas“, „Ödipus“ und „Narziss“, „Odysseus“ und „Penelope“, wenn sie sich „Gier“, „Konfrontation“ oder „Beziehung“ nennen, dann darf man ohne Risiko unterstellen, dass diesen Bildern in irgendeiner noch näher zu bestimmenden Form am Personal gelegen ist, das sie so vernehmlich im Schilde führen. Nun wollen wir den Nicht-Humanisten oder Post-Humanisten keinen Schreck einjagen. Der Maler erwartet von niemandem solide Kenntnisse in antiker Mythologie. Dass es ihm der antike Götter- und Heldenhimmel angetan hat, bedeutet nicht, dass uns ohne vitale Nähe zu den Olympiern seine Bilder verschlossen blieben. Denn der Maler Henri Deparade erzählt keine alten Stories. Er benutzt den antiken Mythos wie ein Reservoir, wie eine hoch geladene Batterie. Im Grunde ist es reine Energie, was von „Agamemnon“ und „Kassandra“, von „Isaos" und Medea“, „Dionysos“ und „Marsyas“, von „Odysseus“ und „Penelope“ herüber hallt. Es sind allesamt Namen, die für Grenzzustände stehen, für Extremsituationen, für das Theater der Grausamkeiten, das Leben heißt, also für die abgründigen, die bodenlosen Wahrheiten. Dass der Maler nicht immer, aber immer wieder und dann suggestiv den antiken Mythos aufruft, hat seinen Grund in dieser poetischen Bereitschaft zur Überschreitung, zur Entgrenzung der Norm. Es ist wie eine Verwandtschafts-bekundung.

Zeichnend, malend fährt der Künstler jenen Geschichten nach, die der junge Leser heute als „voll krass“ beschreiben würde. „Voll krass“ meint: Nackt liegt unter der dünnen Haut der Geschichte, was man existentielle Grundbefindlichkeit nennt, nackt liegt es da, das Leben, wie es ist, das Leben, das eben auch im Vorgriff der Phantasie, im utopischen Entwurf das unabänderliche, unveränderliche Leben bleibt. Theologie und Fortschrittsdenken haben sich mit der skeptischen Wahrheit des antiken Mythos nie wirklich anfreunden können.

Man hat ihn überliefert wie etwas Fremdes, Überwundenes, etwas Abgetanes, das an dunkel faszinierende Vorformen von Kultur und Zivilisation gemahnt. Aber gerade das, das Fremde, angeblich Überwundene, Abgetane, dunkel Faszinierende ist, was den Maler interessiert. Sie alle, die hochmütigen und verzweifelten Heldengötter und Götterhelden ruft er in der Andeutungstechnik seiner Malerei als Gewährsleute auf. Mit ihnen arrangiert er seine Figurenbilder und stellt seine Figuren-Cluster zusammen. Es gibt kein Ein-Figurenbild in dieser Ausstellung. Immer geht es um Konstellationen. Immer mäandert die Linie von einem Körper zum nächsten. Auch das scheint ein Signum dieser Malerei zu sein, wie sie ihr figurales Thema in einem Set fluktuierender Körperzeichen immer neu belebt. Mit Regie und Inszenierung hat das alles nicht viel zu tun. Es eignet dieser Malerei sehr viel Gewährenlassen. Die Linien fließen wie von selbst, und die Farben breiten sich wie Wolken aus. Es ist eben nicht so, dass der Maler für seine Orestie die Trilogie des Aischylos als Drehbuch benutzen würde.

Man würde diese Malerei verkennen, wenn man nicht sehen wollte, dass das Charakteristische gerade in der Freiheit des Assoziierens liegt, in den malerischen, zeichnerischen Schweif- und Streifzügen durch eine Welt, die immer mehr Bilder- als Wortwelt war. Nun darf einen dieses bildnerische Verweilen an der Zapfstelle des Mythos ja auch ein wenig erstaunen. Und um es besser verstehen zu können, mag es schon dienlich sein, doch auch ein paar Gedanken auf die Herkunft dieser Bilder zu richten.

Henri Deparade lebt in Dresden. Er ist in Halle geboren und hat in den siebziger Jahren an der Hochschule für Kunst und Design, an der berühmten „Burg Giebichenstein“ studiert. Damals gab es das noch, was es dann bald nicht mehr geben sollte, und was die Jüngeren unter uns schon gar nicht mehr kennen. Damals gab es noch die DDR. Und es gab die Kunst der DDR, ein ganz eigenes bildnerisches Biotop, das nichtzutreffend gewürdigt ist, wenn man es einfach unter „Ostkunst“ ablegt. Es ist jetzt nicht der Anlass, noch einmal an alte Formalismus-Debatten zu gemahnen und an die Kämpfe so mancher Künstler mit den Stildekreten der Partei. Aber eines scheint nicht zuletzt auch im Blick auf diese Bilder schon noch einmal erinnernswert: Ganz anders als die West-Moderne mit ihrem Selbstverständnis von Bruch und Neuerfindung hat sich ein Hauptstrang der DDR-Malerei doch immer noch der Tradition verpflichtet gefühlt, den figürlich-gegenständlichen Erzählformen, jenem - zumindest bei uns - fast marginalisierten Realismus, der dem Bild unbeirrbar Aussage und Botschaft zutrauen wollte. Man muss das erwähnen, um noch deutlicher zu sehen, wie entschieden sich der Maler von den Lerninhalten seiner Studienzeit emanzipiert und im intakten Vertrauen auf Stoffe und Themen eine ganz eigene Bildsprache entwickelt hat. In geradezu schroffem Gegensatz zu aller naiven Erzählfreudigkeit spielen diese Bilder mit dem Zitat und immer auch mit der Kenntlichmachung des Zitats. Nichts in diesem Werk ist direkt, geradlinig. So wie sich die szenischen Elemente der Bilder kaum einmal im Stillstand befinden, wie sie sich ununterbrochen zu verändern und zu verwandeln scheinen, so schwanken und schillern auch die Ausdrucksmittel, bedienen in einem Augenblick klassische Pathosformeln und verfremden sie im nächsten. Man begegnet immer wieder Expressions-Mustern wie Zorn, Schmerz, Schrei, Abwehr, Zuwendung, Entrückung, Verzückung, die gut identifizierbare bildnerische Vorlagen haben und sie auch keineswegs verheimlichen oder verstecken. Wer sich da und dort an antike Plastik, an manieristische Malerei, an Maskenstarre oder an die Figuren-Gebärden der Nazarener des 19. Jahrhunderts erinnert fühlt, befindet sich keineswegs auf falscher Fährte. Und doch ist das alles nur Spielmaterial für eine Malerei, die mit sichtlicher Lust zwischen Form und Formverlust, Gegenstand und Gestik, Figur und Farbraum, Körper und Emotion, Erinnern und Vergessen oszilliert und dabei lauter Geschichten ohne Anfang, ohne Ende gewinnt.

Hans-Joachim Müller, Januar 2015


I.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich dem Werk des heute in Dresden ansässigen Hallensers Henri Deparade zu nähern. Die kunsthistorisch naheliegendste wäre, die wechselnden Richtungsorientierungen seiner verschiedenen Werksphasen aufzulisten und daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen. Also die Schilderung seines Wegs von den an der altdeutschen Malerei und am Verismus von Malern wie Dix und Querner angelehnten akademischen Anfängen über die Auseinandersetzung mit Expressionismus, Surrealismus, dem späten Picasso, abstraktem Expressionismus und Informel bis hin zu den heutigen Bildern, die in gewisser Weise eine Art autonome Kombination von alledem verkörpern: eine Synthese abstrakt-expressiver Räumlichkeit mit psychisch-automatischer Figurenzeichnung bei gelegentlichem Aufscheinen realer Bezüge.

II.
Bereits weiterführend ist die Frage, welcher künstlerischen Mittel sich Deparade bevorzugt bedient. Ihre Beantwortung sagt uns etwas über sein künstlerisches Temperament und die Gefühlstemperatur seiner Bilder. Hier ist zuallererst eine allen Bildern ausnahmslos zu Grunde liegende, ungegenständliche Farbkomposition, besser Farbkonstellation, zu nennen, die unter Ausnutzung der spezifischen Raumhaltigkeit der Farben die Assoziation unterschiedlicher Raumdimensionen und damit Raumbewegung suggeriert. Trotz dieser Bewegung findet jedoch stets ein harmonikaler Ausgleich statt, so dass selbst dramatische Stimmungslagen in der Balance gehalten werden. Mit dieser Farbkomposition verbindet sich eine in flüssiger, spontaner Handschriftlichkeit „herunter geschriebene“ Figürlichkeit, zum Teil die Farbkomposition überlagernd, zum Teil von jener überlagert, zum Teil von jener durchdrungen. Beides scheint untrennbar miteinander vereint. In einer Art innerem Parallelismus zur konstatierten Balance der Farbkomposition, findet auch innerhalb der Zeichnung, selbst bei dramatischsten Figurenkonstellationen, ein harmonikaler Ausgleich statt, bewirkt durch eine Schönlinigkeit, die an Matisse, vielleicht noch mehr an André Masson und vor allem Francis Picabia, also Ausformungen der surrealen Zeichnungsautomatik denken lässt. Auch beispielsweise Andy Warhol oder Sigmar Polke haben sich von hier entsprechende Anregungen geholt. Anflüge des Realen brechen immer dort durch, wo sich auf den Gesichtern leidenschaftliche Emotion abbildet. Ihre ausdrucksmäßige Zuspitzung verrät die veristischen Anfänge, ihre Einbettung in den linearen Schreibstil der Zeichnung die Auseinandersetzung mit dem elementaren malerischen Vortrag des späten Picasso.

III.
Erst Zusammenwirken und Anwendung der genannten künstlerischen Mittel führen zur inhaltlichen Aussage, die Deparades Kunst zugrunde liegt. Seine Farbkompositionen sind dezentralisierte, mehrzentrische Räume, nicht begrenzt, sondern nach allen Seiten hin offen, Ausschnitte eines umfassenden Größeren, das in harmonikal gestimmter Bewegung die menschliche Figur nicht nur durchdringt, insofern körperhaft verräumlicht, sondern diese auch in einem Gesamtzusammenhang birgt. Die Körper werden dadurch leicht, entmaterialisiert, fast schwebend. Vorder- und Hintergrund gehen dadurch fließend ineinander über, so dass differenzierte Raumschichtungen entstehen. Und wiederum können wir einen, diesmal inhaltlichen, Parallelismus zwischen Raum und Mensch beobachten. Der bei Deparade stets in Zweisamkeit oder als Gruppe auftretende Mensch erscheint nicht nur als soziales Wesen, in der Interaktion der Gruppe, als differenziert und unterschiedlich, sondern auch als Einzelwesen. Viele seiner Gestalten sind mit zwei oder drei Gesichtern dargestellt, als in sich unterschiedliche, zumindest differenzierte Wesen, gleichsam von psychisch mehrschichtiger Raumhaltigkeit, deren jeweilige Seinsschicht sich mit einer jeweils unterschiedlichen Raumschicht verbindet.

Weder Raum- noch Figurendarstellung sind von näher definierter Inhaltlichkeit, ihr Charakter ist der allgemeiner Grundkonstellationen: Nicht gerichtete Raumbewegung, sondern Bewegung allgemein, nicht inhaltlich begründete, sondern Aggression als allgemeines menschliches Phänomen, nicht spezifische Sexualität identifizierbarer Personen, sondern in allgemeiner Bildhaftigkeit durch das Symbol der Zunge usw. Ausdrücklich bemerkt Henri Deparade in einem Gespräch mit Ingrid Koch aus dem Jahre 2005: „Indem man eine narrative Struktur zugunsten einer assoziativen Freiheit auflöst, kann es gelingen, den Rezipienten als Interpreten ernst zu nehmen. Zeit- und Raumachsen relativieren sich. In der malerischen Verwirklichungsform gibt es eine inhaltliche Erweiterung; so verschiebt sich das Gewicht vom „Realitätssinn“ zum „Möglichkeitssinn.“ Das heißt: Erst der Betrachter befördert durch seine Assoziationen die allgemeinen Inhalte der Bilder zu konkret inhaltlichen. Kunst wird zum Katalysator individueller Interpretation und Sinngebung. Dem widersprechen auch nicht Bildtitel, die Deparade häufig aus der griechischen Mythologie entlehnt. Das dortige Geschehen wird von ihm in Allgemeinsituationen übersetzt. Wenn zum Beispiel ein Bildtitel lautet: „Agamemnon, Klytämnestra und Kassandra“, so hat zwar der gebildete Betrachter sicherlich das beklagenswerte Schicksal des nach zehn Jahren aus dem trojanischen Krieg nach hause kommenden Königs von Mykene vor Augen, der dort von seiner inzwischen untreu gewordenen Gattin schnöde gemeuchelt wird, Deparade übersetzt aber das von der Seherin Kassandra geweissagte Fluchgeschick des Hauses der Atriden, dem Agamemnon angehörte, in eine allgemeine
Fragestellung, nämlich die, ob wir vom Schicksal dem Konflikt ohne Ausweg, wie ihn das griechische Drama kennt, unentrinnbar ausgesetzt, also determiniert sind, oder, ob es doch so etwas wie eine selbstverantwortliche Handlungsmöglichkeit gibt, einen zumindest teilweisen freien Willen. Die Bilder Deparades sind ein Widerspiegel dieser Thematik: Auf der einen Seite die innere Gesetzlichkeit der künstlerischen Mittel, denen der Maler unterworfen ist, ob er will oder nicht, die er als gegeben vorgefunden hat, auf der anderen das psychisch-automatische Zeichnen, das Offenlegen von Schichten des Unterbewußtseins, die er in künstlerischer Freiheit dem anderen Bereich in ausbalancierter Synthese verbindet. Beide Seiten weisen, wie zu zeigen war, strukturelle Gemeinsamkeiten auf, die sie als Bestandteil ein und derselben Medaille erscheinen lassen. Henri Deparades Kunst ist ein allgemein formuliertes Versöhnungsangebot dieser Grundfrage menschlicher Existenz. Das ist der Sinn seiner bewegten Bildharmonie.


Prof. Dr. Rainer Beck - Ordinarius für allgemeine Kunstgeschichte an Hochschule für Bildende Künste Dresden
25.04.2008


Auszüge aus einem Ateliergespräch zwischen Frau Dr. phil. Ingrid Koch, freie Kulturjournalistin Dresden und dem Maler Henri Deparade von 2005

Bei einer Betrachtung Ihres Werkes fällt ein radikaler Wandel der malerischen Handschrift auf. Wie und wann kam es zum Wechsel von Ihrer veristischen Stilphase zu dieser Expressivität des malerischen Vortrags?

Wenn wir von Expressivität des Bildaufbaus sprechen, ist das, auf meine Malerei bezogen, nur insofern richtig, wenn wir hierin nicht eine elaborierte Erscheinungsform neoexpressionistischer Malerei sehen. Ich glaube sagen zu können, es geht um etwas Anderes, ganz Eigenes; es geht im Grunde genommen auf etwas in mir ganz eigenständig Gewachsenes, in meiner frühesten künstlerischen Entwicklung Entstandenes und immer latent in mir Vorhandenes zurück.

In etwa zu beschreiben, als ein besonders geartetes Spannungsfeld zwischen Form und Gegenstand. Es geht hierbei einerseits um eine gewisse Art von Formautonomie, dabei handelt es sich hier um eine Abkehr vom veristischen Realismus und andererseits um die teilweise Einbeziehung selektiver realer Bezüge. So ging es mir zunächst formal darum den Dualismus von Figur und Grund aufzuheben. Entsprechend einer Malerei der „freien Figuration“, durchdringen sich Umgebungsraum und Figuren gegenseitig im transparenten Bildraum. Indem ich jedes entschiedene Figur- Grundverhältnis auflöse, komme ich meiner Intention nahe, Figur und Raum so miteinander zu verschmelzen, dass die menschlichen Figuren ihre Lokalfarbigkeit und damit an Gewicht verlieren, das heißt, sie erscheinen transparent, durch weitere Überzeichnungen, in gewisser Weise bewegt und mehrdeutig. Umso entschiedener können die zeichnerischen und malerischen Setzungen, eines teilweise kalkulierten und eines teilweise spontanen Malduktus, als autonome Strukturen ins Wirkungsfeld des Bildes treten. Damit öffnet sich der Raum für multifokale, sich überschneidende Assoziationen sowohl für den Maler, als auch für den Interpreten. Hier kann es gelingen den Rezipienten als Interpreten ernst zu nehmen, indem man eine narrative Struktur zugunsten einer assoziativen Freiheit auflöst. Zeit- und Raumachsen relativieren sich, malerisch konkret verschiebt sich das Gewicht vom „Realitätssinn“ zum „Möglichkeitssinn“. Was das inhaltlich bedeutet, habe ich später vielleicht noch Gelegenheit auszuführen. Zunächst noch so viel, und das ist wichtig zu wissen, bei einer solchen Bildkomposition kommt die sinnliche Ausstrahlung in einem anderen „Aggregatzustand“ zum Vorschein; damit ist vielleicht schon für mich ein eigener veränderter intentionaler Begriff von Sinnlichkeit in der Malerei verbunden. Nicht mehr Illusionsräume, Farbperspektiven, Stofflichkeiten, so beispielsweise der Glanz der menschlichen Haut, wie sie selbst in einer Malerei des expressiven Duktus noch beim späten Corinth, bei Rouault, bei Heisig, bei Auerbach und bei Kossoff in Erscheinung treten, liegen innerhalb meiner malerischen Intention; explizit bekenne ich mich zum Vorrang einer Sinnlichkeit der reinen malerischen Farbfläche und der gezeichneten Linie, hier investiere ich mit Entschiedenheit die Kraft meines malerischen Vortrags. Jene Figuren sind damit nicht mehr unmittelbar zu bewerten, sie sind zu einem Teil der malerischen Vermittlung, einer spezifischen Sprache aus Bildzeichen geworden; nicht mit der zum Programm erhobenen standardisierten Verbindlichkeit eines Penck und auch nicht einem experimentellen Syntheseprogramm des späten Picasso vergleichbar, aber denen verwandter als den Malern eines gegenständlichen Expressionismus bzw. Neoexpressionismus. Aus all dem geht hervor, dass ich mir ein Ausstellungspublikum erhoffe, das Freude daran hat, sich selbst aktiv mit einer solchen Bildsprache auseinanderzusetzen. Solcherart Interessenten erwarten dabei vom Maler nicht Antworten als inhaltlich ablesbare „Fix- und Fertigkeiten“, sondern Fragestellungen, die ihre eigene Fantasie herausfordern. Glücklicherweise habe ich gerade solche Bestätigungen in der letzten Zeit erfahren, das drückt sich im Interesse von Galeristen, Kunstwissenschaftlern, Sammlern und überhaupt Käufern meiner Arbeiten aus, aber auch zunehmend im Gespräch mit Ausstellungsbesuchern. Das gibt Kraft diesen Weg weiter zu gehen.

Aber es handelt sich ja nicht mehr nur um einen Wandel der Form, sondern auch um einen Wandel in den Sujets. Heute begeben Sie sich vordergründig in die Gefilde der Sagenwelt, etwa der Argonauten.

Also, wie gesagt, es geht mir nicht so sehr um diese Gefilde der Sagenwelt, nicht mal um ihren narrativen Kern, sondern um Bilder und Figuren, die mit diesen Mythen verbunden sind und die jeder gebildete Europäer kennt. Jeder verbindet Vorstellungen mit Prometheus, Pandora, Iason, Medea oder Orest und besonders mit Ödipus. Das Theater bedient sich dieser Stoffe für heutige Botschaften, Schriftsteller wie Christa Wolf ebenso, wenn man an ihre feministisch beleuchtete Medea denkt; für die Maler der Moderne war Freuds Metaphorik in diesem Sinne relevant. Auch für mich trifft das zu, nicht zu unrecht rückte mich Klaus Hammer in die Nähe der Surrealisten. Zwar nicht psychoanalytischen Spekulationen folgend, deren dilettierender Gebrauch einem Freud, einem Adler oder einem Jung nicht gefallen haben könnten, geht es mir ganz frei von einem solchen Kontext, um selbst erfahrene oder selbst beobachtete psychische Spannungsfelder in menschlichen Beziehungen. Gemeint sind also nicht die mythischen Figuren unserer Kulturgeschichte als solche, sondern es geht mir um innere Konflikte, die durch diese repräsentiert werden könnten. Das klingt gewaltig, ist aber gar nicht so gemeint, denn jeder kann im Falle des Gelingens, sich in seinen ganz eigenen Erfahrungen darin wieder finden. Es liegt auf der Hand, dass die künstlerische Erlebnisebene, beim Betrachter zu diesen alten Geschichten Zuflucht nimmt, aber in der Art meiner Bilder, wenn ich das richtig sehe, ist der „Möglichkeitssinn“ angesprochen, das heißt auch, dass im multivalenten Assoziationsraum, jeder seine Geschichte finden und bis hin zur Identifikation sich selber weiter erfinden kann. Eine solche Herangehensweise schließt Monomythen mithin aus, nicht der „Fortschrittsmythos“ der Geschichtsentwicklung, nicht der „Heilsmythos“ oder auch nicht der des „neuen Menschen“ etc., die alle totalitäre Gefahren in sich bergen, ist für den, der diesen Gefährdungen durch die Außenwelt, wie ich, selbst ausgesetzt war, von Anziehungskraft.

Die griechische Sagenwelt mit ihrer polymythischen, und dogmatischen, sich metaphorisch überlagernden Struktur, kommt meinen vorhin erklärten Intentionen nach Multivalenz entgegen, anderseits führt sie zu den Wurzeln unserer europäischen Kultur zurück und eröffnet über ihre existenziellen Bilder die Möglichkeit eines Bogenschlags zu ganz heutigen Themen.
Im Dresdner Theater brachte die Inszenierung der „Orestie“ eine Diskussion über die Grundlagen der Demokratie. Ich habe mich 2004 davon zu einer ganzen Reihe von Bildern anregen lassen. Aufgezeigt werden u.a. die schicksalhaft- verheerenden Kreisläufe von Gewalt und Rache, die dann durchbrochen werden konnten, in der Geburtsstunde der Demokratie. Mich interessierte dabei mehr die Spirale der Gewalt und wie diese immer wieder neu motiviert wird; jeder kann seinen Gedanken dazu nachgehen, wie diese alten Kräfte der Konfliktlösung weiterhin in unserer modernen Welt Wirkungsmacht entfaltet haben und wie sie legitimieren wollen.

Denn noch immer gibt es dieses Denken in Sieger- und Verlierermentalitäten. Darüber hinaus geht es in den alten Mythen, Dichtungen und Dramen, wie auch im heutigen Leben um Phänomene wie Gier und ihre konfliktträchtigen Auswirkungen auf menschliche Beziehungen. Trotz dieser von Konflikten geladenen Stoffe, die zunächst Anstoß für meine Arbeit sind und zu entsprechenden, aber relativ freien Thematisierungen führen, geht es mir in meiner Malerei um etwas Allgemeineres, für mich Wichtigeres. Es geht vorrangig um ein Zeugnis eigener Hervorbringung als Gleichnis einer Harmonie, die lebendige Existenz mit all ihren Widersprüchlichkeiten zur Voraussetzung hat, also- wenn es gelingt- um eine Schönheit, die mit Spannungen und Dissonanzen spielt, sich ihres Selbstwertes bewusst ist und sich dennoch nicht auf einen bequemen Sockel niederlässt. Eine unverwechselbare künstlerische Formensprache also, primär dem Medium der Malerei, einem „atmenden Bildraum“ verpflichtet, die zur lebendigen Metapher wird und nur so etwas erlebbar und somit fühlbar machen kann, vom Befinden des Menschen, besonders des Zeitgenossen, in seinen Konflikten, Begierden und Beziehungen, von diesem „Geworfensein“ seiner Existenz in Zeit und Raum.

Dr. Anton Gugg, Kunsthistoriker, Salzburg Zum Werk des Malers Henri Deparade

Rede zur Vernissage einer Ausstellung des Künstlers in einer Salzburger Galerie, 2005

Wenn ein Maler heutzutage das Hier und Jetzt mit seiner öden Problemflut verlässt, um in die Welt der erhabenen Dramatiker der griechischen Antike einzutauchen, dann bedeutet das zuallererst Mut - lauert doch hinter jeder Anmaßung des Höchsten, ja Allerhöchsten, die ungewollte Parodie - das Gelächter eines unsichtbaren Publikums, das den unmöglichen Klimmzug von entfernt Nachgeborenen an ein unerreichbares Original verspottet.
Henri Deparade bringt diesen Mut, über die Klippen einer möglichen Entblößung des schier Unmöglichen hinwegzusetzen, seit einiger Zeit auf. Bilder der letzten Jahre tragen die Titel "Orestie", "Klytaimestra und Agamemnon", "Medea und Jason". Wäre er ein Theaterregisseur, würde man mit Recht den Anspruch stellen: Er muss besser, intensiver sein als Peter Stein vor fast dreißig Jahren auf der Schaubühne am Halleschen Ufer. Was sich damals abspielte, war atemberaubend genug und löste eine theatralische Antiken-Welle sondergleichen aus. Die Kulturwelt begann sich wieder mit diesen unfassbar monumentalen Texten, der zyklopischen Schicksalswucht jener Gestalten zu befassen, ja man entdeckte die Brisanz in verstaubt geglaubten Texten wieder, die bis dahin hauptsächlich totes Seziermaterial der Philologie gewesen waren.

Meine Damen und Herren - das ist doch nur der beste Beweis dafür, was Künstler von Rang bewirken können, nämlich die Wiederbeatmung ganzer Kulturschichten und aus dieser scheinbar nur rückwärtsgewandten, archäologischen Arbeit wächst dann wieder etwas völlig Neues, Zeitgemäßes, Zukunftsweisendes.

Henri Deparade ist durchaus in diesen Zusammenhang zu stellen. Auch er, der 1951 in Halle an der Saale geborene Maler, der seit 2001 in dieser Galerie gastiert, ist wahrscheinlich ein solcher Öffner von verschlossen geglaubten Vergangenheitsräumen in die Zukunft. Wir hier in der Gegenwart können über die unmittelbar zu uns sprechenden ästhetischen Qualitäten reden und spekulieren, was sie künftig in Bewegung setzten könnten. Das, was für mich sicher ist, betrifft das Malerische in diesen Gemälden. Es ist wahrscheinlich nicht falsch, wenn ich feststelle, dass Deparades handwerklich-malerisches Vermögen die Grundlage für inhaltliche Ansprüche, für Bezüge zu den großen Tragödiendichtern der Antike sind.

Namen, Assoziationsbezüge würden nur lächerlicher Schall und Rauch sein, wenn sie sich nicht berufen könnten auf einen stichhaltigen künstlerischen Befund. Und bei aller Subjektivität der Wahrnehmung kann man schon sagen. Da ist ein Maler am Werk, der durch viele Stahlbäder der realistischen Kunstauffassung, der strikten Ausbildung und der Auseinandersetzung mit den großen Gestalten der klassischen Moderne gegangen ist. Das mag für viele andere Künstler auch gelten, bei denen das Ergebnis all dieser äußerlichen wie innerlichen Torturen blass und unscheinbar bleibt. Entscheidend ist und bleibt am Ende doch, was ein Künstler mit seinen erworbenen Grundlagen und seinen wachsenden inneren Herausforderungen anfängt.

Henri Deparade hat aus vielen Einflüssen, aus der realistischen, der figurativen wie abstrakten Sphäre eine unverkennbare eigene Handschrift entwickelt, die in jeder Landschaft, jeder antikisch getauften Figurenkomposition sofort zu erkennen ist. Er hat seine eigene Stimme geformt, diszipliniert und zum Spielinstrument gemacht - eine unverkennbare warme, manchmal pastellene Coloristik, ein ganz bestimmtes Licht, eine ganz bestimmter Zusammenklang von Auflösung und klarer Figuration, von Räumlichkeit und dynamischen Möglichkeiten. Deparade ist Deparade - und kein Nachhall auf den manchmal ähnlichen späten Kokoschka, auf die Archaik der italienischen Transavantgardia oder die kolossalen und brutalen Antikenbilder und Menschendarstellungen eines Lüpertz oder Baselitz. Deparades Welt ist differenzierter, auch raffinierter, leichter, wenn man so will, französischer - bei aller scheinbar rein deutschen Expressivität. Aber man soll nicht verquält vergleichen und unsinnige Bezüge konstruieren.

Ein Maler mit verzweigten europäischen Wurzeln erzählt uns mit vergleichsweise traditionellen Mitteln von den Argonauten und man glaubt ihm aufs Wort. Eigentlich ist das unglaublich in einer Zeit, wo alles schon gesagt ist und niemand mehr etwas aufmerksam hören will und kann. Aber es ist so. Warum dies überhaupt sein kann, wird einmal später irgendwo zu lesen sein. Wenn andere Menschen einen distanzierteren Blick auf diese Bilder haben werden. Momentan wollen wir uns ganz emotional diesem Anblick überlassen.

Peter Engel, Hamburg - Zu den Mythologischen Bildern des Malers Henri Deparades

Rede zur Vernissage einer Ausstellung in einer Hamburger Galerie, 2008

Die bildende Kunst hat von ihren allerersten Anfängen an aus dem Mythos geschöpft; aus den Sagen und frühen Dichtungen von Göttern, Helden und Geistern der Urzeit. In immer neuen Anläufen haben es die Maler und Bildhauer mit den ihnen eigenen Mitteln unternommen, die uralten Geschichten wieder und wieder zu gestalten. Die Flut dieser Bilder und Skulpturen reicht von den vorgeschichtlichen Artefakten bis an die Schwelle der Moderne heran und über sie hinaus.

Manche Theoretiker haben gerade die Überwindung dieses als „literarisch“ diffamierten gewaltigen Erbes als das entscheidende Merkmal einer Emanzipation der bildenden Künste gefeiert und dabei die alleinige Beschäftigung der Kunst mit sich selbst auf den Schild gehoben. Mittlerweile wird jedoch diese Nabelschau und Selbstbezüglichkeit der Kunst zunehmender und immer schärfer werdender Kritik unterzogen. Denkt man in diesem Zusammenhang an die tiefgründigen Schöpfungen Anselm Kiefers oder an die Rätselbilder eines Neo Rauch, um nur zwei von weltweitem Erfolg begünstigte Positionen zu nennen, so scheint ein neues Anknüpfen an literarische Thematik, ein abermaliges Ausschöpfen mythologischer Quellen nachgerade zu das Gebot der Stunde zu sein.

Kann also die mythische Überlieferung – im vorliegenden Falle die der alten Griechen – unter heutigen Aspekten noch einmal in Malerei übersetzt werden? Das ist die zentrale Frage, die von den hier gezeigten Bildern Henri Deparades aufgeworfen wird. Will man diese Frage nicht gleich mit einem klaren Ja oder einem entschiedenen Nein beantworten, sie also nicht unbefragten Geschmacksurteilen überlassen, sollte man nach Gründen Ausschau halten, die für die Dignität eines Versuchs sprechen, die ewigen Konstellationen zwischenmenschlicher Verhältnisse, also die der Liebe und des Hasses, der Zuwendung und der Demütigung, des Kampfes und der Versöhnung, mit Hilfe von Farben und Formen neu vor die Augen der Betrachter zu rücken.

Henri Deparade, der insbesondere von der Argonautensage und der Orestie fasziniert ist, sich aber auch mit den um Troja kreisenden Sagen und mit der Ödipus-Gestalt beschäftigt hat, illustriert diese alten Stoffe nicht einfach, drapiert das mythische Personal nicht mit neuen Klamotten, um es einmal etwas salopp zu formulieren. Vielmehr holt er aus dem Uralten bildnerisch Situationen und Konflikte hervor, die uns immer noch etwas angehen können. Er sieht in Medea und Jason, in Agamemnon und Klytaimestra, in Odysseus und Kirke Archetypen, in denen nach einem Wort von Ernst Bloch noch viel „Unausgearbeitetes“ umgeht, das es zur Erscheinung zu bringen gilt. Henri Deparade rückt seine klassischen Protagonisten, die schon so häufig geformt und gedeutet worden sind, mit sensiblem Gespür für ihre paradigmatischen Existenz- und Gefühlslagen neu ins Bild.

Der Maler tut das mit einem erregten Pinselduktus, der die Profile und Körper seiner Figuren unruhig umspielt, sie aus der mythischen Ferne gleichsam heraufruft in unsere Gegenwart. Heraufruft zu neuer Zeugenschaft, die uns etwas bedeuten kann, wenn wir uns hineinsehen in seit jeher bestehende und auch in der Gegenwart andauernde Grundkonstellationen und Konflikte. Und indem wir uns über Farben und Formen hineinziehen lassen in das unabgegoltene mythische Geschehen, gewinnen wir Sichtweisen, die wohl fruchtbar zu machen sind für die Deutung unserer Gegenwart.

Es ist dabei nicht nur möglich, sondern ausgesprochen ratsam, dass jeder Betrachter vor einem dieser Bilder zu seiner eigenen Auffassung, seiner eigenen Deutung kommt. Eine Verbindlichkeit, die für alle gilt, intendieren diese Gemälde nicht, sie lassen genügend Raum für unterschiedliche Sichtweisen und für das assoziative Spiel der Phantasie, machen gewissermaßen Vorschläge, die aufgegriffen, aber auch verworfen werden können.

Gleichwohl wird einer völligen Willkür bei der visuellen Aneignung dieser Bilder doch entgegengearbeitet, und dabei kommt der Farbigkeit der Werke eine Schlüsselfunktion zu. Es ist natürlich keineswegs gleichgültig, ob eine mythologische Szene etwa in leuchtendes Rot getaucht ist oder überwiegend in Blautöne eingebettet wird. Ob ein bestimmtes Grün einem passenden Ocker korrespondiert, oder ob sich blaue Valeurs mit giftigen Tönen streiten, es sind allemal Seelenfarben, wie ich sie nennen möchte, die hier Leitfunktion haben, die deutliche Signale aussenden und eine enorme Dynamik ins Bildgeschehen bringen, heftige Reize evozieren und Stimmungen vielfältigster Art grundieren.

Wer diese Bilder also „lesen“ will, muss sich in besonderer Weise einlassen auf ihre Farbigkeit, muss ihren im Malvorgang getilgten und dann teils doch wieder aufbrechenden Spuren folgen, den Überschneidungen der Linien nachgehen und das prononcierte Herauszeichnen klassischer Profile erkennen. Ein so eingestimmter Betrachter wird sich in den reichhaltigen Arbeitsprozess hinzuversetzen suchen, der bei der Entstehung dieser Bilder abgelaufen ist. Im insistierenden Nachvollzug der gestischen Malweise offenbart sich ihm dann, was die Körperhaltungen dieser mythologischen Gestalten ausdrücken, was ihre mitunter aufgerissenen Münder uns an Botschaften zuzurufen scheinen aus einer vorrationalen, sich eben in Bildern artikulierenden Welt. Sie ist in Wahrheit von unserer angeblich so aufgeklärten zeitlich gar nicht so weit entfernt, vielmehr wurzeln wir mit vielen Fasern unserer Existenz noch immer in ihr. Vom antiken Mythos zur Loveparade ist es nur ein verhältnismäßig kleiner Schritt, wenn man das Gewoge der Gestalten hier und dort auf die bestimmenden Grundzüge hin betrachtet.